Alle Jahre wieder

Gekürzte Mel­dung Nr.1 vom Juni 1998:

Skan­dal um eine Wer­bekam­pagne des  Telekom­mu­nika­tion­sun­ternehmens Nokia: Der neue Slo­gan „Jedem das Seine“ hat zu einem Protest­sturm geführt. Der Spruch stand am Ein­gang des Konzen­tra­tionslagers Buchen­wald bei Weimar. Einige Tage später zog das Unternehmen den Slo­gan zurück.

Gekürzte Mel­dung Nr.2 vom Juli 1999:

Die Fast­food-Kette Burger King hat mit ihrer Wer­bekam­pagne für ein Erfurter Kneipen­fes­ti­val für einen Eklat gesorgt. In einem in einer Auflage von 30.000 Exem­plaren her­aus­gegebe­nen Falt­blatt wirbt die Erfurter Burger-Fil­iale mit dem Slo­gan „Jedem das Seine“ für ihre Bulet­ten. Unterzeile: „Die Dop­pel­packs für alle Party-Hun­gri­gen – Eröff­nungsparty mit Live­musik“. Nach mas­siven Protesten der beteiligten Gast­stät­ten und der Leitung der KZ-Gedenkstätte Buchen­wald ließ das Unternehmen die Falt­blät­ter einige Tage später ein­stampfen. Kom­men­tar des Fes­ti­val-Organ­isators: Offen­bar habe auch Burger King unter­schätzt, dass die Ver­wen­dung des Spruches in Thürin­gen „ein sehr dif­fiziles Thema sei“

Gekürzte Mel­dung Nr.3 vom Jan­uar 2001:

Nach Protesten von Kun­den hat die Münch­ner Merkur-Bank eine Wer­beak­tion mit dem Spruch „Jedem das Seine“ gestoppt. Knapp 5000 der ins­ge­samt 10.000 Broschüren seien bere­its an Kun­den der Bank in Thürin­gen, Sach­sen und Bay­ern ver­schickt wor­den, der Rest wurde einge­zo­gen. Erster Kom­men­tar des Mark­t­bere­ich­sleit­ers der Münch­ner Bank: Es sei für ihn unver­ständlich, dass „die Ver­gan­gen­heit so hochge­spielt würde.

Gekürzte Mel­dung Nr.4 vom Feb­ruar 2001:

Die Deutsche Telekom AG hat in einer Wer­be­broschüre den von den Nation­al­sozial­is­ten miss­brauchten Spruch „Jedem das Seine“ benutzt. Nach mas­siven Protesten bedauerte das Unternehmen die For­mulierung und kündigte an, sie nicht mehr zu verwenden.

Alle zitierten Texte stam­men aus der „Thüringis­chen Lan­deszeitung“, die hier eine aus­nehmend gute Hin­ter­grun­dar­beit geleis­tet hat. In einem Artikel vom 4. Jan­uar 2001 ver­weist sie auf einige dieser Fälle und klärt dabei auch den his­torischen Ursprung auf: „Es ist ein Ausspruch, der zu einem römis­chen Rechts­grund­satz gehört. Cato hat ihn auf den materiellen Besitz bezo­gen: „Soweit es an mir liegt, darf jeder das Seine nutzen und genießen.“ Zu Anfang des 18.Jahrhunderts wurde der Ausspruch zur Devise des schwarzen Adleror­dens, des höch­sten preußis­chen Ordens, gewählt. Es zeugt vom bru­talen Zynis­mus der Nazis, dass sie diese Worte als Inschrift in das Lager­tor des Konzen­tra­tionslagers Buchen­wald ein­schmieden ließen.“
Nun ist es ein offenes Geheim­nis und sicher berufs­be­d­ingt, dass den unter per­ma­nen­tem Erfol­gs­druck ste­hen­den Cre­ative Direc­tors diverser Agen­turen die Pferde ein­fach durchge­hen müssen. Doch allein deren Erk­lärungsver­such, dass Wer­be­texte nur auf juris­tis­che und nicht auf his­torische Rel­e­vanz geprüft wür­den, nützt wenig und spricht eher Bände: Reduziert es doch so die Tex­tak­teure auf das pein­liche Niveau unbe­darfter, im Affekt agieren­der Sponti-Sprüchek­lopfer, die den eige­nen Beruf­s­stand man­gels All­ge­mein­wis­sens und Rechereche infla­tionär schädi­gen. Den Rest erledigt dann die straff organ­isierte Hier­ar­chie der Branche: Bild­voll­strecker-Fotografen liefern den kom­pat­i­blen Blick­fang, umgangssprach­lich „Eye­catcher“ genannt. Und so ist dann auf erwäh­n­tem Burger King-Falt­blatt das freigestellte Porträt eines weib­lichen Mod­els mit gierigem Blick und erhobe­nen Kral­len­hän­den zu sehen. Brav und sim­pel illus­tri­ert die Abbil­dung den Text und führt ihn am Beispiel der selb­stver­ständlich attrak­tiven Spaß-Par­ty­maus sim­pel weiter. Offen­sichtlich existieren in diesem Falle eher optis­che denn sprach­liche Hemm­schwellen: Das Klis­chee ist tot, es lebe das Klis­chee. Ein Schelm, wer schlechtes dabei denkt.
Freilich fällt es auch einge­s­tanden­er­maßen schwer, gän­zliche neue Party-Ankündi­gungs­bilder zu finden. Im Grund sind alle ein­schlägi­gen Bilder­bänke aufge­braucht – was natür­lich eine Halb­wahrheit ist. Und so wird der Man­gel an Ideen durch kamikaze­haft  aus­gewählte Texte recherchefrei kom­pen­siert. Nach uns die Sint­flut, oder: Komme was da wolle, unser ist die Res­o­nanz. Die moralin­saure Richter­skala ver­baler Tex­texzesse ist – zynisch gesprochen – noch lange nicht aus­geschöpft. Und es ist vielle­icht nur eine Frage der Zeit, bis wir „Jedem das Seine“ als neuen alten Slo­gan der Kam­pagne einer Lebensver­sicherung in unseren Briekästen finden werden.

Nach­satz: Laut weit­eren Recherchen soll der Spruch auch von den Unternehmen „REWE“ (für Gril­lzube­hör, 1998) und „microsoft“ (für Bürosoftware,1997) benutzt wor­den sein.


Auss­riss aus der TLZ vom 28. Juni 1999