Ceci n’est pas…

Seit dem 27. August 2014 steht eine große Alu­mini­um­box im Zen­trum Weimars. Vier Meter hoch und etwa zwei mal zwei Meter in der Grund­fläche. An allen vier Flächen befinden sich Sicht­fen­ster, die mit Rol­l­lä­den ver­schlossen sind.

Öff­nen sie sich, wird der Kas­ten zur Schaubox, in der eine einzelne Per­son agiert. Täglich seit dem 28. August, jew­eils fünf Stun­den lang. Aus­gedacht hat sich das der hol­ländis­che The­aterkün­stler Dries Verhoeven.

Seine Idee lehnt sich an die berüchtigten Freak­shows an, welche in der Ver­gan­gen­heit als bizarres Ereig­nis auf Volks­festen zu sehen waren: Men­schen mit genetisch bed­ingten Miss­bil­dun­gen wur­den als Attrak­tion vorgeführt.

Doch anders als damals lässt Ver­ho­even nun in Weimar jeden Tag ein men­schliches Szenen­bild darstellen.
Selb­stver­ständlich wer­den dabei auch keine Abnor­mitäten aus­gestellt, son­dern zeit­genös­sis­che gesellschaftliche Zustände reflektiert.

Am ersten Tag zer­drosch ein Mann in Uni­form Trom­meln. Mit zwei Häm­mern zer­legte er ein gutes Dutzend. „Ceci n’est pas de l’art“ – „Das ist keine Kunst“ hieß die Szene. Lärm um seiner selbst Willen.

Am zweiten Tag saß ein noch junges schwan­geres Teenager – Mäd­chen auf einem Meer von bun­ten kleinen Bällen und stre­ichelte zur Musik von Pop­musik­erin Lykke Li ihren Baby­bauch. „Ceci n’est pas une mère“
„Dies ist keine Mut­ter“, lautete der Titel dieser Szene.
Eine durchtriebene Anspielung auf den heuti­gen Umgang mit Sexualität.

So, wie auch das Szenen­bild am Tag drei: „Dies ist keine Liebe“: »Ceci n’est pas de l’amour«. Ein Mann in Unter­hose saß auf einem Stuhl. Auf seinem Schoß ein junges Mäd­chen, dem er aus einem Buch vorlas.

Tag vier zeigte einen jun­gen Mann mit Gesichts­maske, der auf einem Haufen Patro­nen thronte und sein Gewehr reinigte: »Ceci n’est pas le future«, „Dies ist nicht die Zukunft“.

Am Tag fünf hockte ein dunkel­häutiger Mann in Fußschellen im Kas­ten und übte einige Ver­renkun­gen. Nur mit einem Tuch um die Hüften bek­lei­det. Daneben ein Blechteller mit Erd­nüssen. „Ceci n’est pas l’histoire«,  »Dies ist nicht die Geschichte“. Eine ziem­lich direk­ter Kom­men­tar über das Ver­hält­nis Deutsch­lands zu den Men­schen in seinen ehe­ma­li­gen Kolonien in Süd­west – Afrika.

Solche und ähn­liche Szenen wollen in provozieren­der Art die Reak­tio­nen des Pub­likums her­aus­fordern. Die mutwillig verneinen­den Titelzeilen der einzel­nen Szenen­bilder ver­stärken das noch.

So entsteht ein ver­stören­des Gemisch aus Voyeuris­mus, Ver­wirrung und Betrof­fen­heit. Das dabei auch Fra­gen an uns stellt, ohne auf­dringlich belehrend zu wirken. Und genau das ist das Besondere.

Ein kleiner Teil des Stad­traums wird zur Bühne und will mit der Öffentlichkeit kom­mu­nizieren. Viele Reak­tio­nen der Pas­san­ten bewe­gen sich erwartungs­gemäß zwis­chen Ablehnung und Beifall. Das wird auch an den Kom­mentaren auf der kom­pat­i­blen Web­site deut­lich. Kurzum: Die Sache polar­isiert von Tag zu Tag.

Am Ende der Per­for­mances will der Kün­stler mit dem Pub­likum über sein Pro­jekt disku­tieren. Das soll am Son­ntag, dem 06. Sep­tem­ber passieren.

Bis dahin aber darf man noch auf weit­ere Ereignisse im Alu­mini­umkas­ten ges­pannt sein.
Zu finden ist er bis zum 06.09. 2015 an der Ecke Wieland­straße / Goethe­p­latz, jew­eils von 14.00 – 19.00 Uhr.