Streifen über Streifen

Vor dem Fleis­cherei – Fachgeschäft in der Schwanseestraße ste­hen acht Per­so­nen im Abstand von jew­eils 1,50 m in der Warteschlange.

Alle haben sich exakt hin­tere­inan­der an den kleinen rot ‑weißen Markierungsstreifen auf dem Plat­ten­bo­den des Fußgänger­wegs posi­tion­iert. Auch nach fast vier Wochen sieht das von oben gese­hen immer noch etwas rät­sel­haft aus. Wie an einer Linie aufge­fädelt ste­hen sie da, einem kom­menden Ereig­nis harrend.

Doch es gibt noch Steigerun­gen. So waren neulich zwei Per­so­nen vor einem Drogeriemarkt auszu­machen, welche einen auf 1,60 m aufgeklappten Zoll­stock an seinen Enden zwis­chen sich hiel­ten. Offen­sichtlich als vergewis­sernde Demon­stra­tion jenes per­son­ellen Min­destab­stands. Neuerd­ings als social dis­tanc­ing beze­ich­net und freilich der infek­tiös ‑viralen Sit­u­a­tion geschuldet. Und auch im Innern vieler Geschäfte spielt sich eine Art Fort­set­zung jenes physikalis­chen Spek­takels zwis­chen den Akteuren ab. Nach­dem fre­undliche, meist männliche Mitar­beiter den gere­inigten Einkauf­swa­gen an die Kon­sumenten übergeben, bewe­gen sich jene auf­fal­l­end bedächtig auf die Suche und Auswahl ihrer Waren. Auch dabei ist zu beobachten, wie vor­sichtig neuerd­ings die meis­ten agieren. Fremd bes­timmten Fig­uren auf einem Brettspiel gle­ich. Denn hin­ter dem Gang um die Regalecke kön­nten andere noch nicht auzu­machende Zeitgenossen wan­deln. Und dann wäre die Mühe um den Min­destab­stand futsch und die kör­per­liche Dis­tanz augen­blick­lich hinüber.

Doch auch sehen­den Auges ist es nicht immer leicht, seinen Mit­men­schen im Dis­counter dis­tanziert auszuwe­ichen. Vor allem dann, wenn sie zugle­ich aus allen Rich­tun­gen kom­men. Dann wartet man ab und hält die eins­fün­fzig Meter irgend­wie ein. Denn die meis­ten Läden haben ihre Böden nur im vorgeschriebe­nen Kassen­bere­ich mit den rot – weißen Sig­nalk­lebe­streifen zugetackert.
So wirkt jener Pub­likumsverkehr vor und in den systemrelevanten
Verkauf­sein­rich­tun­gen wie eine mobile humane Instal­la­tion zu Beginn einer

Per­for­mance im öffentlichen Raum. Einem Film­set gleich.

Vor acht Wochen wäre sowas noch als Real­isierung eines kün­st­lerischen Konzepts durchgegangen.
Freilich nur mit Genehmi­gung des Ord­nungsamts und der Geschäfts­führung der betr­e­f­fenden Firma.
Seit vier Wochen ist es nun realer Teil unseres All­t­ags gewor­den. Mit offenem Ausgang.