Wer sich daran erinnert, ist nicht dabei gewesen
Diese feucht – fröhliche ostdeutsche Spruchweisheit trifft wohl am besten die Substanz der neuesten Ausstellung in den Kunstsammlungen Jena. Sie nennt sich treffend „Der große Schwof“ und zeigt in reichlich 300 Fotos geronnenen Frohsinn zu allen erdenklichen Feiern im letzten Jahrzehnt der DDR. Von der Spontanparty über Geburtstagsfeten, Jubiläumsfeiern, Volksfesten, bizarren Inszenierungen der Subkultur, Underground, – Hochzeits – und Ausreisepartys reicht das fotobildnerische Spektrum. Nichts, aber auch nichts wurde als Anlass zum alkoholgeschwängerten Feiern ausgelassen. Und dafür gab es bekanntermaßen gute Gründe. Nur so konnte man der immerwährenden grauen Tristesse des DDR – Alltags eine ganz eigene, lupenreine private Welt entgegensetzen. Jene zelebrierten temporären Parallelwelten hatten eine immens wichtige Ventilfunktion und gerieten für sehr viele zu einer Art Überlebensverfahren. Im Schwof waren dann irgendwie irgendwann alle gleich und trennende gesellschaftliche Schichten miteinander verschmolzen. Katerstimmung danach inbegriffen. Im offiziellen DDR – Sprachjargon des Arbeitsalltags nannte sich das übrigens „gemütliches Beisammensein“ und geriet bisweilen zur ausufernden Endlosparty mit offenem Ausgang. Apropos offen. Selbstverständlich ist auf sehr vielen Fotografien sehr viel spärlich bedeckte Haut in Form eng miteinander verschlungener Körper gleich – oder unterschiedlichen Geschlechts auszumachen. Sowas würde wohl heute nur von kurzer Dauer sein. Infolge Anzeigen wegen sexueller Belästigung und dergleichen. Mitunter wirken alle ausgestellten Fotos sehr weit entrückt, wie der Blick in eine rätselhafte Zeitkapsel.
Zeugnis und zugleich ungewollt soziologischer Exkurs in längst vergessene, vermeintliche Phantasiewelten. Vergleiche zum „Tanz auf dem Vulkan“ der 1920iger Jahre können da bisweilen durchaus mithalten.
In einem Land, dass sich in seinen letzten Jahren im Zustand stetiger Auflösung befand. Bekanntermaßen verließen es immer mehr seiner Bürger*innen. Auch davon ist in Jena einiges zu sehen, in Form diverser Abschiedspartys. Zum letzten Mal einen heben, hieß das dann buchstäblich.
Kuratiert wurde die Show von der Bildredakteurin Petra Göllnitz. Nach ihrer Zeit in der Redaktion der DDR – Zeitschrift „Das Magazin“ ging auch sie 1989 in den Westen Deutschlands und war ganze 30 Jahre Bildredakteurin beim Hamburger Magazin „Stern“. Zuständig für die Bebilderung aus den sogenannten „neuen Bundesländern“. Mitunter wurde ihr dabei von den Westkollegen allen Ernstes erklärt, wie die DDR funktioniert hat. Genau jene Momente waren für sie Auslöser, diese Ausstellung zu installieren. Sie rief und 31 eingeladene Fotograf*innen waren mit ihren Bildern und sogar Texten zur Stelle.
In Form expliziter Interviews zur eigenen Lebens – und Arbeitswelt.
Freilich sind Ausstellungen jener Art immer ein Garant außerordentlich starker Publikumsfrequenz. Als Vergewisserung der eigenen Biografie und Lebensleistung für viele ehemalige DDR – Bürger*innen, als Erkundung der jüngsten Deutschen Geschichte für Nachfolge – Generationen. Das wurde schon bei der Vernissage im überfüllten Festsaal des Rathauses mehr als deutlich. Die Ausstellung ist noch bis zum 15. Oktober 2023 zu sehen. Flankiert von einem üppigen Katalog. Nach zwei weiteren Stationen im Osten soll sie auch im Westen der vereinigten Republik gezeigt werden. Und das wäre dann in der Tat ein richtiges Novum. Nach dreiunddreißig Jahren. Kaum zu glauben, aber (hoffentlich) wahr.