Auf Augenhöhe

Nach lan­gen Kon­tro­ver­sen hatte der Stad­trat von Trier das Gast­geschenk der Volk­sre­pub­lik China im März vorigen Jahres angenommen:
Eine über­lebens­große Bronzeskulp­tur des welt­berühmten Philosophen und Sohnes der Stadt: Karl Marx.
An promi­nen­ter Stelle wird er nun als 6,30 Meter hohe Figur aufgestellt wer­den. Unweit der eben­falls welt­berühmten Porta Nigra. Anlass ist sein 200. Geburt­stag. Am 05. Mai 2018 wird die Riesen­skulp­tur enthüllt.
Ver­mut­lich wird die Figur des chi­ne­sis­chen Kün­stlers Wu Weis­han für die Tri­erer sehr gewöh­nungs­bedürftig sein.
Denn ihre Größe erin­nert freilich sofort an bronzenes Helden­pathos aus ver­gan­genen DDR – Zeiten.
Im dama­li­gen Karl – Marx – Stadt, dem heuti­gen Chem­nitz, wurde im Jahr 1970 ein riesiger Kopf des Philosophen platziert. Aus rein pro­pa­gan­dis­tis­chen Grün­den und ohne jed­we­den örtlichen Bezug.
Die Skup­tur des sow­jetis­chen Bild­hauers Lew Ker­bel bekam im Volksmund rasch den Spitz­na­men „Nis­chel“. Die säch­sis­che Beze­ich­nung für Kopf.
Bis heute blickt er sehr markig drein und ist mit­tler­weile Kult geworden.

Die Tri­erer Skulp­tur hinge­gen soll eher alltäglich aussehen:
Trotz ihrer Größe zeigt sie Karl Marx in alltäglicher Pose. Sein Blick ist in die Ferne gerichtet. Augen­brauen und Stirn sind gerun­zelt und ver­lei­hen dem Gesicht einen nach­den­klichen und eigensin­ni­gen Aus­druck. Seine linke Hand hält passender­weise ein Buch. Die rechte greift zum Revers des Gehrocks, der von einer leichte Windbö gewölbt wird. Die Ober­fläche ist eher zer­schrun­den denn glatt.

Das soll eine Dis­tanz zu den bekan­nten hero­is­chen Darstel­lun­gen erzeu­gen. Trotz­dem bleibt dann noch die Größe. Die grenzt schon mutwillig ans Götzen­hafte. Was wiederum mit China zu tun haben soll. Denn dort wird der deutsche Philosoph wie kein anderer verehrt. Bisweilen soll er mehr Gel­tung haben als seine chi­ne­sis­chen Altvorderen – Kollegen.
Allerd­ings begrün­det der Kün­stler besagte Größe des Denkmals ganz sim­pel: Von dieser Sichthöhe aus blickt der Riese in die zweite Etage des Karl – Marx – Hauses in der Brück­en­straße. Auf Augenhöhe.

Und wie sagte kür­zlich der amtierende Bürg­er­meis­ter der Stadt Trier:
„Vor dreißig Jahren wäre ein solches Karl Marx – Denkmal in Trier selb­stver­ständlich völ­lig undenkbar gewe­sen. Angesichts des kalten Kriegs und der Instru­men­tal­isierung des Philosophen…“ Das ist wohl wahr.
Nun denn, bleiben wir gespannt.
Und warten darauf, wie der Tri­erer Volksmund die Riesen­figur zukün­ftig nen­nen wird.