Documenta XII: Bleischwer

…füllt er nun auch mehrere Regalfächer der Thalia-Buch­hand­lung in Weimar: Der Kat­a­log zur „Doc­u­menta XII“, der bekan­ntlich größten und pop­ulärsten Ausstel­lung zeit­genös­sis­cher Kunst weltweit. Doch da wird die Angele­gen­heit schon heikel. Ist doch ein Teil der aus­gestell­ten Arbeiten weit älteren Datums, also alles andere als zeitgenössisch.

Und über­haupt: Die Ein­wan­derung und Ver­mis­chung, also die „Migra­tion der For­men“, welche der Kura­tor Roger M. Buergel als sein Konzept für die Ausstel­lung propagiert, ist der­ar­tig poli­tisch-kor­rekt lang­weilend, das sich nicht mal die berühmten Fußnägel nach oben rollen wollen.

Das­selbe hat sein Vorgänger zur let­zten Doc­u­menta im Jahre 2002 wesentlich überzeu­gen­der, weil selb­stver­ständlich zele­bri­ert. Stattdessen sind nun end­los Reportage­fo­tografien eines Afrikanis­chen Kün­stlers über deutsche Sied­lungs­fas­saden zu sehen, welche genau­sogut von chilenis­chen, amerikanis­chen oder indis­chen Fotore­portern hät­ten erledigt wer­den kön­nen. Aus­tauschbarer Fotojournalismus.

Und freilich macht es Spaß, einige schiefge­gan­gene Instal­la­tio­nen schön zu reden, ein Scheit­ern gle­ich mit einzu­pla­nen und damit einen lusti­gen Presse­hype zu zele­bri­eren: So war die Türen-Instal­la­tion des aus­ge­sprochen schlit­zohri­gen chi­ne­sis­chen Architek­ten und Kün­stlers Ai Wei Wei ursprünglich für den Innen­raum gedacht und mußte so zwangsläu­fig bei etwas stärk­erem Wind im Außen­raum zusam­menkrachen, glück­licher­weise ohne Fol­gen für Men­sch und Tier. Und seine 1001 ein­ge­lade­nen Chi­ne­sen sind nun für fast lau in Kas­sel gewe­sen und haben ein bißchen geguckt, geknipst und selb­stver­ständlich gefilmt. Soziale Prozeßkunst halt, aber ohne eine für alle erhel­lende Dokumentation. 

Auch veg­etieren die noch nicht aufge­gan­genen Reis­felder am Museum Wil­helmshöhe still vor sich hin wie am Tag der Eröff­nung, was man eben­falls von den nicht auf­blühen­den Mohn­blu­men­feldern vor dem Museum Frid­eri­cianum sagen kann. Und die aus­gestopfte Giraffe im Museum wirkt halt wie eine aus­gestopfte Giraffe in einem prähis­torischen Museum, da hilft auch keine poli­tisch aufge­ladene Hintergrundgeschichte.

Aber vielle­icht, ja bes­timmt sogar ist das alles pure durchtriebene Absicht des Kura­toren und seiner Lebens­ge­fährtin – um rou­tinierte Kol­le­gen inclu­sive Kun­st­pub­likum mal so richtig vorzuführen.

Doch selbst das verblaßt, sobald man das ver­stal­tete Kun­st­gewächshaus mit seinen Werken im Inneren gese­hen hat. Die kön­nen einem nur leid tun, selbst ein Bau­markt böte mehr Licht für einige dieser schö­nen Arbeiten. Und der wäre dann vor allem eine kon­se­quente Ansage gewe­sen. Stattdessen wurde eine Vor­führe des für den Bau beauf­tragten Architek­ten daraus.

Dafür aber hat der Kura­tor noch ein Ass im Ärmel: Zwei Besucher/innen seiner Wahl will er täglich inter­agierend in sein Fein­schmecker-Stamm­lokal nach Kata­lanien ein­laden. Bes­timmt ist es dort kurzweiliger.

Fazit des Ganzen: Aus anfangs neugierig machen­der kura­torischer Durchtrieben­heit ist pure Langeweile gewor­den, was nochdazu in einem äußerst beliebigem Gesamt­bild gipfelt – und das auf Kosten einiger weniger her­aus­ra­gen­der Kunstwerke.

Im Rank­ing um das span­nend­ste Kun­stereig­nis dieses Jahres steht die diesjährige Doc­u­menta mehr als ganz hin­ten. Herr Bürgel sollte sich mal eine konzep­tionelle Scheibe von Kas­par König, dem Kura­toren der Skulp­tur­pro­jekte Mün­ster, abschneiden.

Für Kas­sel lohnt der Aufwand des Hin­fahrens und Schauens jeden­falls nicht. Höch­stens im Dieter Bohlen­schen Sinne des Hypes einer super Neg­a­tivreklame. Und siehe da: Die Press­es­telle der Doc­u­menta 12 ver­meldete kür­zlich nach der Hal­bzeit der 100 Tage Besucherrekord…