Fahrstuhl zum Historientrash
Ein kurzes hohes Ping ertönt im Raum. Dann noch eins in tieferer Tonlage. Wie auf dem Airport einer Metropole. Langsam und sanft schraubt sich der große gläserne Kabinenring des „City Skyliners“ an seinem Mast auf dem Goetheplatz im Uhrzeigersinn in die Höhe. Begleitet von ordinärer Fahrstuhl – Musik, auch als endlos – Blubbermugge bekannt. Zeitgleich begrüßt eine selbstverständlich herbe Frauenstimme das anwesende Publikum: „Wir freuen uns, Sie auf der höchsten und mordernsten mobilen Aussichtsplattform der Welt begrüßen zu können. Genießen Sie den einzigartigen Blick auf die Europäische Kulturhauptstadt Weimar“. Und das ist durchaus nicht übertrieben. Denn schon einige Höhenmeter später offenbart sich ein luftiger Blick auf die Klassikerstadt, den man sonst nur aus dem Visier einer Flugdrohne im TV oder Internet kennt. Jetzt sieht der Kasseturm schon mal wie ein ziegelroter runder Kreis aus. Nach weiteren Umdrehungen stoppt das Gefährt und besagte Stimme verkündet: „Wir befinden uns auf einer Höhe von 50 Metern.“ Um zwanzig Sekunden später zu vollenden: „Wir haben jetzt unsere Reisehöhe von über 70 Metern erreicht“. Und als wäre das nicht schon genug, verweist jene Stimme nun auf den am meisten fotografierten Ort Weimars. Dem berühmtesten aller deutschen Denkmäler, dem bronzenen Dichterpaar auf dem Theaterplatz. Oha. Mehr Steigerung geht nicht und braucht es auch nicht wirklich. Aber es kommt noch doller. Denn anschließend wird die lokale Kulturhistorie in rekordverdächtiger sechsminütiger Kurzfassung Umdrehung für Umdrehung durchgenommen. Mit Schwerpunkt auf deutsche Klassik, Ilmpark, Gingkobaum und dem Thüringer Nationalgericht. Selbstverständlich kann das für Tagestouristen ziemlich optimal sein. Allerdings mit einer pikanten Beschreibungslücke. Denn die Historie des Ettersbergs mit seinem NS – Konzentrationslager kommt mit keiner einzigen Silbe vor. Ganz zu schweigen vom Areal des ehemaligen Gauforums. Trotzdem ist der „City Skyliner“ auch Weimars Eingeborenen und zugezogenen Bewohnern zu empfehlen. Denn in den reichlich 70 Metern Sichthöhe wird abermals klar, wie klitzeklein die Kulturmetropole ist. Umgeben von Grün in allen Himmelsrichtungen. Die endlos durchgekaute Mär von der Stadt im Park wird zum Luftbild in geronnener reinster Form. Und wer der Sightseeing – Tonschleife samt Staubsaugermusik entgehen will, braucht sich nur mit schalldichten Ohrstöpseln auszurüsten.