Lee Miller: Das erste Supermodel


Seit eini­gen Tagen ist auf der Web­seite der Kun­sthalle Erfurt das schwarzweiß – Porträt einer Dame
mit­tleren Alters in Uni­form der US – Army aus dem Früh­jahr 1945 zu sehen. Unter einem Visier – Spezial­helm für Akkred­i­tierte der Presse blickt sie skep­tisch in die Ferne. Das Bild zeigt die amerikanis­che Fotografin Lee Miller und ist Auf­macher der gegen­wär­ti­gen Ausstel­lung ihrer Fotografien aus dem Kriegs – Deutsch­land des Jahres 1945.
Dabei war sie reich­liche fün­fzehn Jahre zuvor noch in ganz anderen bild­ner­ischen Gefilden unter­wegs. Kom­plett am anderen Ufer und jen­seits foto­re­al­is­tis­cher Darstel­lun­gen. Begonnen hatte es mit einer Bilder­buch – Kar­riere als Foto­model der späten 1920iger Jahre für das amerikanis­che Modemagazin Vogue. Zufäl­lig am Straßen­rand in New Yorks Man­hat­tan von deren Her­aus­ge­ber ent­deckt und gefördert.

Kurzum, ein Super­model der ersten Stunde: Blonde Kurzhaar – Frisur, feine Gesicht­szüge, selb­st­be­wusster Blick, schlanke Figur.
Doch dabei blieb es nicht lange. Sie wech­selte hin­ter die Kam­era und schuf in den darauf­fol­gen­den Jahren in Paris und New York viele jener sinnlichen Fotografien, die heute zu den Bildiko­nen des Sur­re­al­is­mus gehören.

In diesen Jahren muss ihr sezieren­der Blick ent­standen sein, der immer mit einer visuellen Dra­maturgie der Gegen­sätze operierte. Dinge vor ihrer Kam­era, die im ersten Moment nichts miteinan­der zu tun hat­ten, vere­inte sie zu einer durchtrieben kom­ponierten Auf­nahme. Begleitet von ungewöhn­lichen Blick­winkeln, Nahan­sichten und Per­spek­tiven. Und das war das Besondere.

Denn Jahre später sollte sich genau jener bisweilen drastis­che Blick von dem aller anderen Bildjournalisten/innen markant unterscheiden.

Viele Brüche und Wen­dun­gen ihres Lebens ließen sie ab 1944 zur Kriegs­berichter­stat­terin wer­den. Erneut beauf­tragt vom amerikanis­chen Modemagazin Vogue. Größer kon­nte nun der Gegen­satz zwis­chen pub­lizierter insze­nierter Lifestyle – Fotografie und real­is­tis­cher Wieder­gabe der Schau­plätze des zweiten Weltkrieges in Deutsch­land nicht sein.

Und auch dabei blieb es nicht. Die Redak­tion des Mag­a­zins hatte sie als Frau selb­stver­ständlich eher als Hin­ter­grund­berichter­stat­terin beauf­tragt. Doch Miller wech­selte an die Kriegs­front und wurde unter anderem zur fotografieren­den Zeu­gin der Befreiung des Konzen­tra­tionslagers Dachau. Genau jene Auf­nah­men haben bis heute nicht an Wirkung ver­loren. Als Sol­daten der US – Army vor Ort abgestellte Güter­wag­gons eines Zuges öffneten, fie­len tote Kör­per auf die Gleise.

Im Gegen­satz zu ihren doku­men­tierend weiter ziehen­den Bild­jour­nal­is­ten – Kol­le­gen hatte sich Miller in einen solchen Wag­gon der Hölle begeben und den Blick aus dem Inneren ins Freie fest­ge­hal­ten. Her­aus­gekom­men sind keine mak­aber – voyeuris­tis­chen Bilder, son­dern außeror­dentlich ver­störende Momen­tauf­nah­men der Zeitgeschichte.

Kurz darauf schrieb Miller in ihrem Begleit­text an die Redak­tion des Modemagazins jenen Satz, der zum Titel der Ausstel­lung in Erfurt wurde: „To believe it!“ Kurz zu deutsch: Glaubt es! Als ob die Fotos nicht aus­re­ichen wür­den. Fast über­flüs­sig zu sagen, dass die Ausstel­lung ihren Schw­er­punkt auf das Gebiet Thürin­gens jener Zeit fokussiert. Nach 75 Jahren zeigt nun ein ganzer Raum auss­chließlich Fotografien vom KZ Buchen­wald, einige Tage nach der Befreiung. Und selb­stver­ständlich auch jene Momente, in denen die ver­meintlich ahnungslosen Bewohner Weimars das Lager auf dem Etters­berg erst­mals besichti­gen mussten:
Vor dem Ein­gangs­ge­bäude ist im Vorder­grund rechts ein dunkel­häutiger US – Sol­dat zu sehen. Links neben ihm läuft eine Weimarer Dame im lufti­gen Dirndl. Trotz der Ent­fer­nung sind in Ihrem Gesicht die Spuren des eben Gese­henen klar auszumachen.
Ein Besuch der Ausstel­lung sei allen emp­fohlen. Noch bis zum 18. Okto­ber 2020 ist sie in der Kun­sthalle Erfurt geöffnet.

Der Kura­tor Daniel Blochwitz führt durch die Ausstellung