Frau mit Messer

Im gedämpften Tages­licht steht eine junge schlanke Frau schul­ter­wärts an der geschlosse­nen Rol­l­laden­front einer mar­o­den Haus­fas­sade. Die Frau hat ihre lan­gen dunkel­braunen Haare zusam­men gebun­den, trägt eine graue Step­p­jacke, dunkel­braune Kniebund­ho­sen und schwarze Schnürstiefelet­ten. Mit ihrem rechten angewinkel­ten Unter­arm hält sie den Rol­laden des Ein­gangs in Hüfthöhe offen. Dabei wird ein Blick ins Dunkel des ver­lasse­nen Ladengeschäfts freigegeben. Am Boden ist er jedoch von einem Frag­ment der holzvertäfel­ten Ein­gangstür versperrt. Die Hand ihres linken angewinkel­ten Unter­armes umfasst in ziem­lich riskan­ter Art ein langes Küchen­messer zwis­chen Heft und Klinge. Dabei blickt sie in die Ferne.

Diese aus­gek­lügelt sur­real anmu­tende Farb­fo­tografie hat der Fotograf Matthias Leupold im Ost­ber­lin des Jahres 1985 insze­niert. „Ohne Titel“ nennt sie sich und ist seit eini­gen Wochen zum Plakat­mo­tiv der aktuellen Ausstel­lung in der hiesi­gen ACC – Galerie geworden.

„An den Rän­dern taumelt das Glück“ heißt sie poet­isch viel­sagend und zeigt einen äußerst span­nen­den und über­raschen­den Reigen der späten DDR – Fotografie. Nun sind Ausstel­lun­gen jener Epoche und Art nichts wirk­lich Neues. Mit sturer Regelmäßigkeit wur­den in den let­zten Jahrzehn­ten die fast immer­gle­ichen Bilder der ebenso fast immer­gle­ichen Fotograf*innen in End­loss­chleife präsen­tiert. Organ­isiert und präsen­tiert von den eben­falls immer­gle­ichen Kura­toren und Verlegern.

Mit dem Ergeb­nis eines unfrei­willig belehren­den DDR – Foto­tun­nel­blicks, der sich in pein­licher Weise dominierend auf meist jour­nal­is­tis­che All­t­agsporträts, Trüm­mer­bild – Tristesse und sub­kul­tureller Szene­fo­tografie verengte.

Dass es noch viel mehr gibt, beweist die gegen­wär­tige Show. Das fängt schon bei ihrer Präsen­ta­tion an. Denn anstelle des üblich lin­earen Durch­me­terns immer­gle­icher Bild­for­mate haben die Kura­torin­nen Anett Jahn und Ulrike Mön­nig ver­schieden große Bilder­wolken nach eigens aus­gedachten The­men installiert.
Sie set­zen sich aus durch­weg schwarz ger­ahmten Fotografien ver­schieden großer For­mate zusam­men. Zudem tauchen die größ­ten­teils schwarzweißen Bilder sämtlicher Fotograf*innen durch­mis­cht in vie­len Räu­men auf und treten in Dia­log. Gekon­tert mit groß­for­mati­gen Wall­pa­pern und ergänzt von Diashows und Kurz­fil­men. Und auch die Inhalte sind durchtrieben vielschichtig und machen von Raum zu Raum neugieriger: Eine neunköp­fige Per­so­n­en­gruppe hält sich far­bige hochfor­matige, rechteck­ige Tape­ten­stücke vor ihre Köpfe. Daneben sind schwarzweiß – Grup­pen­bilder ver­schieden­ster Men­schen in unter­schiedlich­sten sozialen Umge­bun­gen auszu­machen. Ein anderer Raum zeigt auss­chließlich sitzende Men­schen auf Bänken, ein weit­erer Kind­heits – und Jugend­bilder. In den Gän­gen der Galerie sind All­t­ags, – Architek­tur und Interieur­fo­tografien unter­schiedlich­ster Art zu sehen. Der größte Raum kom­biniert flockig Arbeits – und Freizeitall­tag. Danach fol­gen Bilder­szenen von unter­wegs bis hin zu expliziten Insze­nierun­gen. Alles hängt mit allem zusam­men. Auch ein soge­nan­nter Trans­for­ma­tion­sraum fehlt nicht. Der bebildert die Jahre 1989 bis 1990.

In den besten Momenten der Präsen­ta­tion gerät man tief in den Sog der so viel­gesichti­gen Bilder­wel­ten. Und genau das ist das Herausragende.

Ach ja: Nor­maler­weise wer­den Ausstel­lun­gen dieser Art meist von durch­weg älteren Men­schen über Sechzig besucht. Was sich freilich mit deren Vergewis­serung ihrer Biografie und Lebensleis­tung erk­lärt. Doch auch das ist hier anders. Der Besucher­an­teil jün­gerer Gen­er­a­tio­nen ist genauso groß. Die Ausstel­lung ist noch bis zum 12. Feb­ruar 2023 in der ACC – Galerie Weimar zu sehen. Eine Pub­lika­tion ist in Vorbereitung.

Blicke in die Ausstellung:

Blick in die Ausstellung