Mit flirrendem Pinsel

Lieber vom Leben geze­ich­net, als von Sitte gemalt! Das war eine immer­währende ost­deutsche Spruch­weisheit, die sich auf die Bilder des DDR – Malers Willi Sitte in all seinen For­men und Auswüch­sen bezog. Fast wie von der Stange fer­tigte der Kün­stler Einzel, Dop­pel – und Grup­pen­porträts der werk­täti­gen Bevölkerung im All­t­agsleben der DDR an: Lesende Arbeiter, schachspie­lende Bauleiter, kop­ulierende junge Pärchen am Arbeit­splatz und so weiter. Wie kein anderer wurde er seit den frühen 1960iger Jahren zu dem Pro­tag­o­nis­ten des sozial­is­tis­chen Real­is­mus. Sein nat­u­ral­is­tis­cher, bisweilen expres­siv – figür­licher Stil galt den staatlichen Kul­tur­funk­tionären als weg­weisend für die Gegen­warts – und Zukun­ft­skunst des ersten Deutschen Arbeiter – und Bauernstaats.
Mit anderen Worten: Eine per­fekt kom­pat­i­ble Verd­inglichung des neuen Men­schen im Zeital­ter der siegre­ichen sozial­is­tis­chen deutschen Gesellschaftsordnung.
In der Regel zeigten seine handw­erk­lich unge­mein per­fekt gemal­ten Bilder end­los das­selbe und erzeugten durch jene andauernde Pen­etrierung der DDR – All­t­agswelt schnell eine Art Über­druss. Sittes Bilder waren in allen Schul­büch­ern für Kunst und Lit­er­atur unüberse­hbar auszu­machen. Selb­stver­ständlich auch in soge­nan­nten Gesellschafts­bauten wie dem „Palast der Repub­lik“ und anderen Kul­turhäusern des Landes.
So wur­den sie zur visuellen Blau­pause des noch jun­gen Staates. Dabei hatte der junge Kün­stler völ­lig anders begonnen. Sein Früh­w­erk der 1940iger Jahre war geprägt von Kol­le­gen wie Picasso, Fre­d­i­nand Legér oder Renato Gut­tuso. Doch damit war in den späten 1950iger Jahren Schluss. Auf Druck der Kul­tur­funk­tionäre änderte der mit­tler­weile sozial­is­tis­che Kun­st­pro­fes­sor seinen Stil und schuf danach seine berühmt – berüchtigten Mal­w­erke. Auch seine metapho­risch über­frachteten His­to­rien – Alle­gorien wur­den zu Selb­stläufern seiner Künstlerkarriere.
Und so kam es, das Willi Sitte zum aus­ge­sproch­enen Staatskün­stler und Kul­tur­poli­tiker mutierte. Allerd­ings mit einer Kon­se­quenz, die eben­falls beispiel­haft war. Denn bis zu seinem Tod im Jahre 2013 blieb er stur bei seinen kün­st­lerischen und vor allem poli­tis­chen Posi­tio­nen. Trotz aller gesellschaftlichen Verän­derun­gen war er ein Gefan­gener seiner Kar­riere und wirkte let­ztlich wie ein merk­würdig aus der Zeit Gefallener.
Seit dem 3.Oktober 2021 ist sein Werk nun in einer umfassenden Ret­ro­spek­tive im Kun­st­mu­seum Moritzburg in Halle zu sehen. Inklu­sive dickem Kat­a­log, welcher einen Span­nungs­bo­gen seiner ambiva­len­ten Hal­tung als Kün­stler und Kul­tur­poli­tiker aufzeigen will. Die bish­eri­gen medi­alen Reak­tio­nen polar­isieren erwartungs­gemäß. Sie bewe­gen sich zwis­chen Ablehnung, Spott und Verehrung.
In Weimar war die let­zte Ret­ro­spek­tive von Willi Sitte 1988 in der Kun­sthalle am The­ater­platz, dem heuti­gen „Haus der Demokratie“ zu sehen. Ein Gäste­buch- Ein­trag jener Ausstel­lung lautet wie folgt:
„Es gibt Honig – und Kun­sthonig. Willi Sitte gehört zu den Kun­sthonig – Fab­rikan­ten.“ Dem ist auch bis heute nichts hinzu zufügen.