Streifen über Streifen
Alle haben sich exakt hintereinander an den kleinen rot ‑weißen Markierungsstreifen auf dem Plattenboden des Fußgängerwegs positioniert. Auch nach fast vier Wochen sieht das von oben gesehen immer noch etwas rätselhaft aus. Wie an einer Linie aufgefädelt stehen sie da, einem kommenden Ereignis harrend.
Doch es gibt noch Steigerungen. So waren neulich zwei Personen vor einem Drogeriemarkt auszumachen, welche einen auf 1,60 m aufgeklappten Zollstock an seinen Enden zwischen sich hielten. Offensichtlich als vergewissernde Demonstration jenes personellen Mindestabstands. Neuerdings als social distancing bezeichnet und freilich der infektiös ‑viralen Situation geschuldet. Und auch im Innern vieler Geschäfte spielt sich eine Art Fortsetzung jenes physikalischen Spektakels zwischen den Akteuren ab. Nachdem freundliche, meist männliche Mitarbeiter den gereinigten Einkaufswagen an die Konsumenten übergeben, bewegen sich jene auffallend bedächtig auf die Suche und Auswahl ihrer Waren. Auch dabei ist zu beobachten, wie vorsichtig neuerdings die meisten agieren. Fremd bestimmten Figuren auf einem Brettspiel gleich. Denn hinter dem Gang um die Regalecke könnten andere noch nicht auzumachende Zeitgenossen wandeln. Und dann wäre die Mühe um den Mindestabstand futsch und die körperliche Distanz augenblicklich hinüber.
Performance im öffentlichen Raum. Einem Filmset gleich.
Vor acht Wochen wäre sowas noch als Realisierung eines künstlerischen Konzepts durchgegangen.
Freilich nur mit Genehmigung des Ordnungsamts und der Geschäftsführung der betreffenden Firma.
Seit vier Wochen ist es nun realer Teil unseres Alltags geworden. Mit offenem Ausgang.